27. April 2020

Schattenzeit, verzwickt und heilig!



Venus, der Abendstern, transformiert sich zum Morgenstern

— Seit Urzeiten eine heilige Zeit zur Verwandlung!

Warum der Schatten drauf wartet, uns den Kopf zurechtzurücken

Der Planet Venus läuft natürlich nicht wirklich rückwärts. Es ist nur eine Illusion am Nachthimmel aus irdischer Perspektive. In ihrem gemeinsamen Tanz auf ihren Umlaufbahnen rund um die Sonne passiert die Erde die Venus. Die Graphik zeigt, wie die kontinuierliche tägliche Vorwärtsbewegung aus Erdsicht eine solche Schleife bildet:

Rückläufigkeit aus Sicht der Erde
(B.Brondel CC BY-SA 3.0)

Wir sind wie fiebrige Träumer, die ins Metier der Trance der alten Weisen eindringen. Jetzt ist Zeit zur Introspektion. Das Beste, was wir tun können, ist uns für einige Zeit nach Innen zu wenden und die Aussenwelt aussen vor zu lassen. (Und, beschreibt das nicht genau den aktuellen Zeitgeist? Die detaillierte Anleitung zur rituellen Innenschau folgt im nächsten Beitrag.)

Wie seit C.G. Jung in der Psychologie bekannt, lauern dort die rohen Kräfte. Wir rühren am Unterbewussten, das wie ein Vulkan darauf wartet auszubrechen. Die Unterwelten und die Welten des Todes werden beherrscht von Ereshkigal, der Königin der grossen Erde (zu späteren, hellenistischen Zeiten Hekate genannt). Sie ist die ältere und mächtigere Schwester von Ishtar, der Königin des Himmels.


Perfekt gekleidet taucht Inanna, die Strahlende, in die Unterwelt, um ihrer grossen Schwester dort ein Stückchen ihrer Macht zu entreissen. Doch Ereshkigal hat davon Wind bekommen und ist ausser sich. Auf diesem Abschnitt der Reise rumpelt es kräftig in der Psyche — sowohl in der individuellen als auch der kollektiven. Die Königin der grossen Unterwelt sorgt dafür, dass ihre himmlische Schwester an jedem der sieben Tore zur Unterwelt einen Teil ihres Schmucks und Kleider einbüsst. Schliesslich landet Ishtar splitterfasernackt und völlig schutzlos vor ihr ohne alle Macht. Ereshkigal tobt und tötet ihre Schwester. Sie hängt den Leichnam der ehemals Strahlenden zum Verrotten an einen Haken und tobt munter weiter. 

Das ist unser Moment an rückläufiger Leidenschaft
— wenn sich unsere vernachlässigten venusischen Bedürfnisse zeigen. Es wird einen Morgen, einen Abend oder ein Wochenende geben, an dem wir uns am Wendepunkt befinden, vor dem Durchbruch: Wir halten es nicht länger aus. Das Leben ist kein Ponyhof. Wir sind wütend. Wir sind einsam. Wir sind enttäuscht. Wir sind überwältigt.

Was immer es ist: hören wir zu. 

Und tun wir das nicht nur so aus Höflichkeit. Drücken wir unserer dunklen Schwester einen Stift in die Hand oder lassen sie an die Tastatur. Lassen wir ihr freien Ausdruck, lassen sie toben und schimpfen wie ein Rohrspatz. Sie soll raushauen, was ihr alles schon lange auf der Seele brennt, alle unerfüllten Begierden, all ihre Bedürfnisse ausheulen. Machen wir eine lange Liste. Eine Liste voller Leidenschaft. Beginnen wir jeden Satz mit „Ich will…“, noch besser mit „Ich fordere…!“ (Ich fordere mehrt Aufmerksamkeit, ich fordere mehr Gehalt, ich fordere, dass man mir zuhört, ich fordere Küsse, Streicheleinheiten, ich fordere mehr Zeit für mich, ich will mehr Lebensfreude!)

Konservieren wir diesen Ausbruch und geben ihm den angemessenen Rahmen. Sichern wir ihn an einen besonderen Ort. Später, wenn sich das Gemüt beruhigt hat, holen wir ihn wieder vor und sichten alles mit klarem Kopf. Das sind die Botschaften einer Göttin, die tief Innen in unserem Unbewussten gefangen ist. Ihre Beschwerden sind ein Minenfeld an ungeborgenen Rohdiamanten. Das sind die tiefsten Geheimnisse der Venus und genau das, was wir für unser Glück jetzt brauchen. Auch wenn die Worte vielleicht ein wenig polterig oder sehr kindisch klingen — die Macht, die hinter ihnen steckt, ist echt.

Und Ishtar macht diese Reise nicht zum ersten Mal. Sie hat vorgesorgt. Als Teil des Plans sendet der König (der bewusste Geist) einen charmanten Eunuchen aus, der jedes Wort der rasenden Ereshkigal hört. Denn nachdem sie Gehör gefunden hat, erlaubt sie widerwillig, dass die Wasser des Lebens über Ishtars Leib gegossen werden, um sie wiederzubeleben. Die Königin des Himmels kehrt mit erneuerter Klarheit und Fruchtbarkeit in die obere Welt zurück. 

(Es gibt allerdings auch Versionen dieses Mythos, in dem sie dort ihren Lover quietschvergnügt und keineswegs um sie trauernd auf ihrem Thron antrifft — und ihn zur angemessenen Strafe zu ihrer Schwester ins Reich der Toten runterschickt. Daher stammen übrigens die archetypischen Warnungen vor alten Liebeleien und miesen Lovern)

Die Herausforderung der verflixten Schwestern

Ereshkigal und Ishtar, die jede eine Seite der grossen Göttin repräsentieren, kämpfen nicht einfach gegeneinander. Sie veranstalten dieses Schauspiel als verflixte Schwestern bereits über 5000 Jahre. Girls just wanna have fun. Sie wollen nur spielen, ein bissl Drama veranstalten, um Aufmerksamkeit zu schinden. 

Der Planet Venus kommt während seiner Rückläufigkeit der Erde so nahe wie sonst nie. Das ist die Zeit, wenn die Göttin es liebt, sich leibhaftig auf Erden zu zeigen. Sie flüstert den Leuten zu, setzt uns den ein oder anderen Floh ins Ohr. Sie fordert gesellschaftliche Regeln heraus und erzeugt ungewohntes, spontanes Verhalten, hoppla. Halten wir Ausschau nach ihrer Einflussnahme jenseits von Liebesgeschichten, Geld und Glück. Sie steckt hinter den Gleichberechtigungskämpfen, zeigt sich in der Natur, in der Kunst, in der Welt von Mode und Schönheit, aber auch auf diplomatischen Parketten und im Umgang mit Etiketten.

So, wie 2009, da war Venus in Widder rückläufig, als Michelle Obama einen bis dato undenkbaren Bruch des höfischen Protokolls beging und die unberührbare britische Queen herzlich gedrückt hat („ Ach, wir sind beide nur zwei müde Ladies, die in ihren engen Schuhen fast umkommen!“) Bis heute Gesprächsthema. Oder während der späteren Venus Rückläufigkeit im Widder im Jahr 2017, als Präsident Trump die ganze Zeit vom tollsten Schokoladenkuchen schwärmte, während er mit Präsident Xi Jinping eher nebenbei die Entscheidung traf, Syrien zu bombardieren. 

Auch in unserem individuellen Leben überrascht uns die verspielte Venus gern mal mit einer plötzlichen neuen Begierde. Schwupps, kommt der Sohn mit einem Nasenring heim, der bisher nicht die geringste Neigung zu Tätowierungen, Piercings und Ähnlichem zeigte. Es musste einfach sein, erklärt er. Einige Wochen später steht er vor dem Spiegel und fragt sich, ob das für ihn wirklich das Richtige ist.
 
Das ist nämlich genau das Ding mit den Inspirationen zu dieser Zeit. Betrachten wir sie nach einer Weile im Lichte des Alltags der oberen Welt, schauen sie meist nicht mehr ganz so prickelnd aus. Ja, wir werden immer wieder reinfallen, wie die Astrologin Dana Gerhard schreibt. Wir kaufen verrückte Klamotten, die wir nie tragen werden. Sie liess sich eine grüne Strähne färben, die echt schräg war. Sie liess sich prompt mit einer alten Liebe wieder ein und erlebte 14 Jahre Sturm und Drang — und einige der besten Gelegenheiten ihres Lebens. Sie würde um nichts in der Welt auch nur eine Minute tauschen wollen. Seitdem hat sie ihre gefärbte Haarsträhne behalten, allerdings in einer besser zu ihr passenden Farbe.

Es ist eine heilige Zeit.
Es ist jedoch keinesfalls eine Zeit für hirnlosen Aberglauben! 

Haben wir etwas typisch venusisches zu tun, wie z.B. zu Heiraten oder etwas Grosses und Teures zu kaufen wie ein Haus, ein Auto, etc., dann sollten wir alle Details gründlich abklopfen. Wenn dann immer noch alles Richtig erscheint, dann machen wir uns keinen unnötigen Stress. Auch während dieser Zeiten geht das Leben weiter. Aber halten wir die Augen besser offen. Die Göttin wird uns sicherlich bald besuchen kommen. 

(Freie, leicht veränderte Übersetzung von Dana Gerhardt:
Transform! Why Venus Retrograde is Important

Dank an Dana für die freundliche Genehmigung
und vor allem für die immer wieder tief bewegenden und inspirerenden Lektionen!)