9. Dezember 2020

Lockdown: Macht den Laden endlich dicht!

 

Die "Schwesterfraudoktor"
spricht mir mit ihrem Blogbeitrag aus der Seele:
(Geklauter Artikel aus DocCheck Blogger "Aus dem Alltag einer Landärztin und Journalismusstudentin. Lustiges, Kurioses, Nachdenkliches und Ernstes.)

Lockdown nennt ihr das?
Ich spüre davon nichts.
Im Gegenteil:
Ich wünsche mir nichts dringender,
als einen echten, harten Lockdown.
Und zwar bis nach Silvester.

Mal ehrlich – war was?
Corona? Lockdown? Lockdown light?
Oder eher Lockdown Zero?
- Voller Geschmack, aber wenig Wirkung?
Wo sind wir denn bisher gelockdownt?
Merkt ihr noch etwas davon? 

Die Infektionszahlen steigen weiter, aber draußen ist alles normal. Gut, meinetwegen steigen die Zahlen etwas langsamer, aber jeden Tag um die 20.000 neue Fälle sind mir persönlich immer noch zu viel.

Und könnte damit nicht die geänderte Teststrategie etwas zu tun haben? 

Es werden ja nicht mehr alle verdächtigen Fälle, sondern nur noch die mit aussagekräftiger Symptomatik, bzw. diejenigen mit gesichertem Kontakt getestet, weil die Labore an ihre Grenzen stießen. Die Antwort auf diese Frage überlasse ich den Experten. Ich kann nur beurteilen, was ich in meiner täglichen Arbeitspraxis sehe: Es wird mehr. Und es ist überall.

Es ist überall – und es wird nur mehr

Wir telefonieren uns die Finger wund, weil wir ja netterweise telefonisch krankschreiben dürfen. Und was glaubt ihr, wie oft wir hören: 

  • „Der Arbeitskollege neben mir an der Werkbank ist vorgestern positiv getestet worden ...“
  • „In der Wohngruppe 2a der Altersresidenz haben zwei Bewohner Corona ...“
  • „Die Klassenkameradin hat es ...“
  • „Ich habe seit gestern keinen Geruch mehr ...“

Es. Ist. Überall.

Corona hat viele Gesichter

Es klingt nicht nur dramatisch, das ist es auch. Auch wenn wir als Hausärzte viele leichte Fälle sehen: Es ist keine Grippe!

Neulich hatte ich eine Patientin, die wegen eines gebrochenen Arms in die Notaufnahme ging und positiv getestet wurde. Sie hatte null Beschwerden. Nichtsdestotrotz hat sie ihre Erkrankung weitergetragen. Je nachdem, wie sehr sie sich an alle Regeln gehalten hat.

Eine andere Patientin erzählte mir, dass sie noch nie so krank war, wie mit COVID. Und sie hatte einen leichten Verlauf. Zwei Wochen hat sie einfach nicht gesprochen, weil ihr die Kraft zum Sprechen gefehlt hatte. 

Ein Vater und ein Sohn hatten Fieber, Kopfschmerzen und den berühmten Geruchs- und Geschmacksverlust. Eine andere betroffene Familie war ebenfalls eher leicht betroffen. Sie litten unter Fieber und Kopfschmerzen, beziehungsweise unter leichtem Husten. Der Vater war danach wochenlang stark erschöpft, die Mutter leidet unter wechselnden Nervenschmerzen.

Ein Kapazitäten bindendes Chamäleon

Corona ist ein Chamäleon. Wir finden jegliche Symptomatik von „Nix“ bis „Tod“. In meinem kollegialen Umfeld bekomme ich immer wieder mit, wie überlastet die Intensivstationen sind. Wie aufwändig die COVID-Patienten in der Behandlung sind. Wie stark das Virus auch im Personalstand grassiert.

In meiner weiteren Umgebung ist eine Einrichtung für behinderte Menschen betroffen. Eine alte Patientin von mir musste ihr erwachsenes Kind, das in den späten 40ern ist, deswegen nach Hause holen und es pflegen. „Ich liebe mein Kind, natürlich mache ich es gerne. Aber ich kann nicht mehr“, sagte sie.

Es. Ist. Überall.

Corona ist keine Grippe. Corona bindet Kapazitäten, die für die Behandlung von anderen Erkrankungen nun erschöpft sind. Was passiert, wenn die Intensivstationen voll sind? Wenn wir manche Krankheit nicht mehr behandeln können, weil das Pflegepersonal erschöpft ist? Oder weil alle krank sind? 

Höchste Zeit für einen harten Lockdown

Ich merke nichts von diesem Lockdown. Klar, ich gehe zur Arbeit und habe dort meinen menschlichen Austausch, dann gehe ich nach Hause und habe den Alltag mit meinen Kindern. Wir gehen raus, wir gehen in die Natur. Ich kann einmal die Woche einkaufen gehen und uns leckere Sachen kochen. 

Aber wir haben keinen Lockdown. Die Straßen sind voll.

Gestern wollten wir im Schnee wandern, das haben wir auf einem benachbarten Berg (= Hügel) auch getan. Ich war sehr erstaunt zu sehen, dass man dort rodeln durfte. Die Leute standen recht eng beieinander, die Glühweinstände hatten geöffnet. What? Wir stapften weiter durch den Winterwald und tranken unseren mitgebrachten Weihnachtstee. Alleine.

Wir haben keinen Lockdown. Man geht jetzt eben einkaufen, statt in den Freizeitpark zu gehen. Lebensmittel- und Nippesshopping als neue Freizeitbeschäftigung. Wir haben keinen Lockdown, wir haben höchstens einen Lockdown Zero. Aber wir brauchen den richtigen Stillstand. Ein harter Lockdown und zwar sofort. Das brauchen wir dringend.

Sorry, Tante Elfriede

Ich bin auch der Meinung, wir dürfen an Weihnachten keine großen Treffen veranstalten. Das ist zwar maximal doof, aber seit wann möchte jeder an Weihnachten plötzlich seine gesamte Verwandtschaft aus Hinterburghausen treffen?

„Oh Gooott, ich muss Tante Elfriede treffen! Muss die alte Schrulle wieder alle mit ihren vertrockneten Weihnachtsplätzchen umbringen?“, hieß es noch im letzten Jahr.

„Oh Gooott, ich muss Elfriede dieses Jahr ganz dringend sehen! Weißt du noch? Ihre trockenen Plätzchen? Herzallerliebst!“, spricht man dieses Jahr.

Amerika erlebt gerade nach Thanksgiving seine Retourkutsche. Und das wird uns nach Weihnachten auch blühen, wenn wir Tante Elfriede getroffen haben. 

Ich habe auch keine Lust auf Homeschooling, ganz ehrlich. Aber ich hab noch weniger Lust auf Corona. Es ist nun mal so: In dieser Situation stecken wir alle nur ein – und sollten also auch gemeinsam zurückstecken und Rücksicht aufeinander nehmen.

Wie viele andere bin ich auch dafür, dass wir den ganzen Laden bis nach Silvester dicht machen. 

Sorry, Tante Elfriede.