2. Oktober 2020

Der Spiegel des Metalls

 Begrenzen und Austausch über Grenzen hinweg

Jede Grenze ist auch eine Austauschmöglichkeit. So wie Staaten an ihrer Grenze wirtschaftlichen Handel treiben oder an den Grenzflächen unserer Lungen Sauerstoff aufgenommen und Co2 abgegeben wird, es geht immer um Annehmen und Loslassen. 

Auch unser Abwehr-Qi und das Immunsystem schützen unseren Grenzbereiche. Sowohl auf der körperlichen Ebene ist es wichtig zu regulieren, welche Energien wir aufnehmen und abgeben. Aber auch auf der mentalen und emotionalen Ebene ist unsere Aufnahmefähigkeit begrenzt. Überschreiten wir die Grenzen unserer Belastbarkeit auf welcher Ebene auch immer, dann gerät unser Organismus unter Stress. Dann müssen wir uns schleunigst begrenzen, am besten bevor wir Schaden begrenzen müssen.

Wann immer eine Grenze erreicht wird, stellt sich die Frage, wie es weitergeht. Wir haben wieder die Wahl. Manche Grenzen schützen (uns/andere), geben (uns /anderen) einen geschützten Raum. Andere engen uns ein, fordern uns heraus, sie zu überwinden. In dem wir diese Grenze zunächst respektieren und uns bewusst machen, können wir entscheiden, welche Verhaltensweise für uns angemessen sein mag.

Ausgrenzung ist ein Schutzmechanismus

Wir grenzen uns ab und etwas aus, das uns bedroht. Doch oft bedroht uns etwas, das schlicht unbekannt und damit nicht einschätzbar ist. Aus Angst begrenzen wir uns. Wer andere ausgrenzt, beschränkt sich immer auch selbst. Unsere bisherig gemachten Erfahrungen helfen uns nicht weiter in Bezug auf Unbekanntes. Wir müssen bereit sein über den Tellerrand hinaus zu schauen. Wir müssen uns immer wieder für Grenzerfahrungen öffnen, damit wir dem Neuen, dem ewigen Wechsel und Wandel des Lebens begegnen können. Zumindest Information sollten wir bereit sein auszutauschen, um ein Leben lang lernen zu können. Denn das Leben fordert von uns ständig Neuanpassung auf sich verändernde Umstände.

Sicherlich müssen wir nicht jede Grenze überwinden. Manchmal dürfen wir auch bewusst auf Abstand gehen und für uns die Grenze ziehen. Bis hierhin und nicht weiter. Wer nach allen Seiten offen ist, ist nicht ganz dicht.

Grenzflächen sind Spiegel-/Projektionsflächen

Die Fähigkeit der Reflexion ist die Qualität des Metalls. Es dient uns als Spiegel. Doch jeder Spiegel kreiert nichts Neues, sondern reflektiert den, der ihn ihn blickt. „Spieglein, Spieglein an der Wand…“ — Huch, wir sehen immer uns selbst:

Alle Welt ist im Widerstand. Die Leute regen sich auf, protestieren, demonstrieren gegen alles Mögliche. Die einen zeigen auf Trump, Putin, Merkel. Die anderen sind gegen Covid, gegen Masken, gegen die Beschränkung ihrer Freiheit. Die nächsten gegen die Polizei, gegen Lobby, gegen Impfpflicht. Und wieder andere sind gegen Demokratie, gegen Asylanten, gegen Linke, gegen Rechte, gegen Kapitalismus, contra Sozialismus…

Alle Welt ist gegen Etwas. Gegen etwas zu sein, das ist so schön einfach. Da kann man protestieren, demonstrieren, schimpfen. In der gesichtslosen Masse an Demonstranten kann jeder laut schreien und sich hinter Plakaten verstecken oder mit Parolen oder gar Steinen um sich schmeissen. Denn es sind ja immer die Anderen. Mit dem Protest delegieren wir die Verantwortung weit weg von uns selbst. Wir schieben es auf einen Sündenbock, wie der auch immer heissen mag: der Spahn, die Regierung, die big Pharma, die Bullen, die Islamisten, die Polacken, der Judsche, die Nigger ach, auch die Saupreussen,… 

Widerstand erzeugt destruktive Gewalt

Widerstand bedeutet sich gegen etwas zu stemmen. Widerstand erzeugt Widerstand. Noch mehr Widerstand erzeugt Gewalt. Gewalt ist immer destruktiv. Und sobald wir auf andere zeigen, deuten drei Finger immer auf uns selbst. Zu 3/4 ist es jedoch unsere eigene Verantwortung, die der Andere uns zurückspiegelt. 

Verflixt, diese Sichtweise ist unbequem. Dann müsste man nämlich eine fundierte Meinung haben. Doch die muss man sich erarbeiten, in dem man nicht nur Parolen schreit, sondern Informationen einholt. Dann muss man auch anderen Meinungen zuhören, andere Perspektiven ergründen, sich mit ihnen beschäftigen (statt nur gegen sie zu sein) — sie möglicherweise sogar als berechtigt zulassen. 

Dazu müssen wir das eigene Ego zurücknehmen, auf das drei Finger zeigen. Dann wären wir mit unserer Meinung statt  "gegen alles" nun "FÜR" etwas Konkretes. Statt die ganze Energie in destruktiven Widerstand zu verballern, könnten wir dann eine Menge Energie in konstruktive Taten umsetzen. Dazu müssen wir uns allerdings selbst bewegen. Wenn uns etwas stinkt, können wir uns engagieren für eine bessere Zukunft!

Der bequemere Weg ist, unsere Erwartungen, Ängste, Sorgen auf die anderen projizieren. Es ist eine sehr kindlich unreife Weise, wenn immer die anderen „schuld“ an der Misere sind. Und all die rebellischen Parolen, die da gebrüllt werden, klingen doch letztlich auch ziemlich kindisch, wenn wir ehrlich sind.

Reflektieren üben!

Doch es bleibt unser eigenes Thema. Der weise, erwachsene Umgang damit wäre, das zu bemerken. Ach ja, einen Moment innehalten und reflektieren! Z.B. in dem wir unseren Vorwurf umwandeln:

  1. „Mich stört am Anderen XY“ 
    Gelten nicht auch irgendwie zugleich folgende Sätze?
  2. „Den anderen stört XY an mir!
  3. „Mich stört XY an mir selbst!“

Die letzte Variante dürfen wir getrost dem anderen selbst überlassen, nämlich:

  1. Ihn stört XY an sich selbst…

Das funktioniert übrigens mit allen Subjekt-Objekt-Sätzen, z.B.
„Ich hasse meinen Ex-Mann“,
„Mein Chef/Lehrer behandelt mich ungerecht“,
„In meinen Augen sind alle Bullen Schweine“,
„Ich habe Angst vor Asylanten/Kommunisten/Radikalen“,
„Ich erwarte Respekt von meinem Sohn“,
„Meine Frau betrügt mich“,
„Mein Kollege enttäuscht mich“

Und dann nehmen wir uns Zeit, diese drei Sätze zu ergründen. Was fällt uns aus der jeweiligen Perspektive dazu ein? Machen wir doch zunächst einmal ein brainstorming. Und dann können wir weiter überlegen, welcher der gefundenen Punkte wahr ist, vielleicht nur ein Körnchen Wahrheit enthält, welcher weniger, welcher mehr oder weniger wichtig ist. Manchmal ist durchaus auch fruchtbar, diese Sätze mit dem Anderen zu klären. Oft werden wir erstaunt sein, was der Andere uns dazu zu sagen hat.

Durch Projektionen der Anderen sind wir nur dann verletzlich, wenn wir einen wunden Punkt haben. Doch selbst damit haben wir die Wahl. Wir können zulassen, dass sich immer wieder ein Finger auf unsere offene Wunde legt. Oder wir kümmern uns selbst um unsere wunden Bereiche, bis sie abheilen und vernarben. Wann immer uns ein Urteil, eine Bewertung, eine Kritik schmerzlich trifft, haben wir die Wahl. 

Wir können uns entweder weiterhin davon verletzten lassen. Wir können das sogar noch fleissig verstärken, in dem wir unseren inneren Kritikern erlauben, die Vorwürfe und Erwartungen der anderen noch durch Schuldgefühle und Selbstvorwürfe zu verstärken. Kommt Ihnen das bekannt vor? Es ist ein allzu menschlicher Mechanismus. 

Heilmittel:
entwaffnende Freundlichkeit
und bedingungsloser Respekt

Stattdessen können wir aber auch schleunigst alle verfügbare Freundlichkeit und bedingungslosen Respekt in unserem Herzen aktivieren, um die verletzende Schärfe zu entwaffnen. Gehen wir dann zusätzlich bewusst in obige Übung hinein, können wir die übrig gebliebenen Krümel der Kritik nutzen, um damit unser Ego zu polieren. 

So bringen wir im Laufe der Zeit unseren Selbstwert und unsere Selbstlosigkeit zum strahlen.